Morgen jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee zum 70igsten Mal. Im Vorfeld dieses Gedenktags gab es ein unwürdiges Gefeilsche um die Teilnahme des russischen Präsidenten Putin. Darf einer, dessen Soldaten sich in der Ukraine „verlaufen“, sich morgen in den Reigen der Gedenkenden einfügen?
Was für eine Frage: Kein Land hat mehr Opfer für die Befreiung vom Faschismus erbracht als Russland. Wer, wenn nicht der Präsident dieses Landes hat ein Recht zu solchem Gedenken? Auch wenn es Soldaten des Massenmörders Stalin waren, die Auschwitz befreit haben, so waren sie für die wenigen Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager doch die Befreier. Und nur darum geht es morgen. Über die Ukraine kann – und muss – am 28. Januar wieder gestritten werden. Aber nicht morgen, nicht am Jahrestag der Befreiung der Überlebenden von Auschwitz und Birkenau.
Morgen geht es einzig darum zu erinnern – sich und andere.
Auschwitz – die Kommerzialisierung des Grauens
Ich habe Auschwitz im Sommer 2013 besucht. Und das Erinnern ward mir schwer vor Ort. Auschwitz, das ist heute eine Touristenattraktion, das ist ein unwürdiges Geschachere, Das ist hemmungsloser Kommerz. Es beginnt mit den Parkplatzanweisern, die sich um die besten Plätze streiten, an denen Besucher auf ihre kostenpflichtigen Stellflächen gelotst werden können. Und das endet – man mag es kaum glauben – mit Erfrischungsgetränken, die in einem Imbissstand in einer der Baracken feilgeboten werden.
Das didaktische Konzept der Gedenkstätte Auschwitz fällt weit hinter dasjenige zum Beispiel der Gedenkstätte Dachau zurück, von Yad Vashem ganz zu schweigen. Nicht nur, dass in Dachau zu recht auf eine Kommerzialisierung des KZ-Geländes verzichtet wurde. In Dachau bildet eine gut gemachte Ausstellung das Zentrum des Erinnerns. Durch Auschwitz werden Touristen geführt, wie durch Neuschwanstein. Vor den Gaskammern trieb uns der „Führer“ – ein unbegleitetes Durchstreifen des Geländes ist jedenfalls im Sommer nicht gestattet – mit den Worten an „Bitte zügig durch die Gaskammern, hier will jeder mal rein“.
In den Baracken werden „Exponate“ ohne ausreichende Erläuterungen ausgestellt: hier ein Haufen Koffer, dort Schuhe und in einem anderen Bau zu hohen Bergen aufgeschichtete Haare. Als einzige Erläuterung gibt es ein kleines Schild, das darauf verweist, dass die Nazis aus den Haaren der Ermordeten Filz anfertigen ließen. Dass der Hersteller der Filzpantoffeln, das Unternehmen Alex Zink, auch nach dem Krieg im bayerischen Roth noch gute Geschäfte machte wird verschwiegen. Die Kontinuität der Schande bleibt unerwähnt.
Wer sich auch nur ein wenig auf das vorbereitet, das zu besuchen in Auschwitz er sich vorgenommen hat, der wird die Gedenkstätte nicht schlauer verlassen als er gekommen ist. Er wird dort nichts lernen und er wird dort nichts erfahren. Ein Ort des Erinnerns, des Innehaltens, der Reflexion ist die Gedenkstätte heute nicht. Und das ist bedauerlich, suchen doch Jahr für Jahr mehr als eineinhalb Millionen Besucher dort Antworten auf ihre Fragen nach dem Wie und dem Warum.
Wer aber über die Kommerzialisierung der Gedenkstätte Auschwitz jammert, der muss auch darauf hinweisen, dass den Verantwortlichen dieser Stätte das Geld nicht nur für den dringend notwendigen Ausbau der pädagogischen Konzepte fehlt, sondern auch die Mittel für den reinen Erhalt der Gebäude vor Ort. Es ist empörend, aber das UNESCO-Weltkulturerbe Auschwitz ist heute abhängig von privaten Spenden. Die Betreiber der Gedenkstätte sind ebenso unsere Unterstützung wert, wie das Internationale Auschwitz Komitee – über das morgige Gedenken hinaus.
Wenn Auschwitz zu einem Ableger von Disney World verkommt, sagt das ungefähr so viel über die politische Kultur wie wenn Schüler in Lübeck gezwungen werden, klassenweise an einer Anti-Pegida-Demo teilzunehmen.
Dein Unmut, lieber Mik ist mir bestens vertraut. Vielleicht liegt es daran, dass wir eine andere Art des Gedenkens, Angesprochen- und Bewegtwerden-Wollens wünschen, als es diese Orte leisten können. Demzufolge gehen wir vielleicht mit falschen Erwartungen dahin.
Wir erhoffen eine Kontemplation, eine Läuterung… was auch immer. Und alles, was dem nicht entspricht, empfinden wir als störend und unwürdig.
Ich glaube, das ist aber in erster Linie ein Problem unserer Generation – insbesondere in unsere der philosemitisch-protestantischen Tradition. Noch immer leiden wir an den Verbrechen der Väter und Großväter, haben die Shoah in der Schule rauf und runter durchgekaut, sind empört über das krasse Fehlverhalten nach dem Krieg und den mangelhaften Schuldbekenntnissen.
Diese zutiefst verinnerlichte Haltung größtmöglicher Bestürzung und Zerknirschung und das deutsche Gelübde, alles zu tun, dass so etwas nie, nie wieder vorkommen wird, fehlt offensichtlch sowohl der jüngeren Generation als auch Menschen anderer Nationen. Ebenso wie der immer wieder empfundene Schlag der Holocaust-Moralkeule, vor der Martin Walser warnte.