Gestern kam eine Anfrage rein für einen Vortrag in Hamburg vor Verlegern (Print und Online). und zwar von einer Firma, die hier nicht genannt werden soll, die aber recht bekannt ist im Bereich des Cross Media Publishing. Die Dame, die mir die Mail schrieb, hatte auch ganz konkrete Vorstellungen über das, worüber ich reden sollte, nämlich: „Es soll sich ums Publishing, um die Prozesse drehen. Gern auch einen Ausblick in die Zukunft. Wie entwickelt sich das Leseverhalten? Wie konsumieren die Menschen Informationen? Welchen Einfluss hat die Technik? Wie können Publisher auf diese Entwicklung reagieren? etc.“
Ich setze mich hin und schrieb eine Antwort, und weil mich das Thema wirklich interessiert, fiel die Antwort etwas länger und auch etwas kontroverser aus, als ich gedacht hatte. Mir war aber auch klar, dass ich die Dame womöglich so erschrecken könnte, dass ich nie wieder etwas von ihr höre – dann ist der Auftrag futsch.
Aber wenn schon, so dachte ich, dann wäre die Antwort wenigstens ein schöner Blogpost für Czyslansky, also hier isser. Vielleicht gefällt er wenigstens Euch/Ihnen:
Danke, dass Sie an mich gedacht haben. Ich sehe auch kein Problem mit dem Termin: Von Hamburg nach Salzburg gibt es mehrmals am Tag Flüge.
Schwieriger ist es mit dem Thema.
Dazu muss ich vorausschicken, dass ich Vollblutjournalist bin, und das seit mehr als 40 Jahren. Ich habe das Zeitungsmachen „im Blei“ gelernt, habe den Übergang zu Lichtsatz und Desktop Publishing mitgemacht und bin dann Anfang der 90er ins Online-Fach gewechselt, wo ich einer der ersten, wenn nicht der allererste Blogger in Deutschland geworden bin.
Ich habe fassungslos mit zusehen müssen, wie die deutschen Verleger das Internet anfangs ignoriert haben, dann viel zu spät auf den fahrenden Zug aufgesprungen sind und bis heute eigentlich nicht wirklich verstanden haben, wie Online funktioniert. Sie haben ihre Inhalte verschenkt und sich ohne Not die Cash Cow Kleinanzeige von Startups wie Monster oder Scout24 wegschnappen lassen. Sie haben sich geärgert, weil Google mit Links zu ihren Inhalten viel Geld verdient hat, aber als Google aufhörte, Links zu ihnen zu setzen, haben sie laut „Erpressung“ geschrien. Das von den Verlegern durchgesetzte „Leistungsschutzrecht“ soll das Zeitungssterben stoppen und wird es in Wirklichkeit nur beschleunigen.
Ich weiß nicht, ob Ihre Verleger das hören wollen. Auch nicht, dass sie die Zukunft des „Qualitätsjournalismus“ totsparen (wie die „FAZ“, die gerade wieder 40 Qualitätsjournalisten entlässt).
Andererseits sind die Themen, die Sie ansprechen, wahnsinnig spannend. Wir erleben im Grunde eine Umkehrung der Nachrichtenströme (Stichwort: „Leserreporter“) und eine Demokratisierung der Informationsverbreitung. Man kann es auch so beschreiben, wie ich es in einem meiner Bücher getan habe, als ein Machtwechsel zugunsten des Kunden/Lesers. Kommunikation ist im „Mitmach-Internet“ Trumpf, und Märkte (auch die für Nachrichten) sind heute Unterhaltungen, wie mein Freund Doc Searls es im „Cluetrain-Manifest“ treffend beschrieben hat.
Das klassische Geschäftsmodell des Verlegers ist im Online-Zeitalter ebenso von so genannten „disruptiven“ Technologietrends bedroht wie der des Buchhändlers (Amazon), des Hoteliers (Airbnb), des Taxiunternehmers (Uber) oder der Banken (Paypal, Transferwise), und sie werden entweder reagieren müssen oder untergehen. In dieser Welt bestimmt der Kunde – und nur der Kunde – welchen Kanal er wofür verwenden will. Die Nachrichten- und Meinungshoheit hat die Seite gewechselt: Nicht die Medienmacher, sondern die Mediennutzer haben heute das Sagen. Dieser Trend ist für die Verlagsbranche schmerzlich, aber unumkehrbar.
Reine Printverleger werden entweder zu Cross-Media-Publisher mutieren oder eingehen. Sie werden auf das veränderten Medienverhalten junger Menschen – Kids lesen keine Zeitung – reagieren und diejenigen Formate besetzen müssen, die tatsächlich ankommen und genutzt werden. Journalisten werden von Nachrichtensammlern zu Navigationshelfern in der Informationsflut, die ihren Lesern/Hörern/Zuschauern über viele Kanäle entgegenkommen und vor allem eines bieten: Kontext, also eine Erklärung dessen, was ständig auf uns einprasselt.
Oh je, jetzt haben Sie mich aber so richtig in Fahrt gebracht mit Ihrer Anfrage. Tut mir leid, aber Sie sehen, wie mich das Thema treibt.