#Unser Czyslansky-Freund Michael hat leider etwas vorschnell das Zeitalter der totalen Blog-Verschlüsselung ausgerufen und ist gleich mit gutem Beispiel vorangeschritten, als er einen kompletten Czyslansky-Beitrag durch einen Verschlüsselungsalgorithmus jagte und das Ergebnis unter der Überschrift „Lorem Ipsum? Lorem ipsum!“ online stellte. Jetzt muss er sehen, wie er aus der resultierenden Zwickmühle herauskommt, dass nämlich keiner mehr versteht, was er schreibt, und deshalb irgendwann auch keiner mehr lesen will, was er schreibt. Ich fühle mich verdammt an das Bild des „Armen Poeten“ von Carl Spitzweg erinnert, jener genial-verkannte Dichter, der in seiner zugigen Dachstube hockt und die tollsten Verse zu Papier bringt – aber vergebens, denn keiner kriegt es mit.
Wie gesagt: Das ist jetzt sein Problem. Meines ist, dass ich mich (wie wahrscheinlich so ziemlich jeder Leser) gefragt habe, wo dieses blöde „Lorem ipsum“ überhaupt herstammt und was es bedeutet. Es ist mir in meiner Laufbahn hundertfach begegnet in Layouts und Dummies von Artikeln und Zeitschriften, und ich ging immer davon aus, dass es für jemanden, der im Lateinunterricht besser aufgepasst hat als ich, durchaus einen Sinn ergibt. Was macht der Mensch im Digitalzeitalter also: Er fragt Google. Und dort gibt es höchst unterschiedliche Deutungen und Deutungsversuche.
Auf gutefrage.net wird einerseits behauptet, dass es sich um einen reinen Platzhalter und damit um Kunstsprache handelt. „Die Verteilung der Buchstaben und der Wortlängen des pseudo-lateinischen Textes entspricht in etwa der natürlichen (lateinischen) Sprache. Der Text ist (absichtlich) unverständlich, damit der Betrachter nicht durch den Inhalt abgelenkt wird.“
Gleich drunter aber liefert jemand eine einigermaßen plausibel klingende Übersetzung, nämlich: „Niemals [wieder] gab es jemanden, der es liebte oder verfolgte oder wünschte sich selbst Schmerzen zuzufügen, weil es Schmerz ist, aber in besonderen Umständen können Anstrengung und Schmerz ihm großes Behagen bereiten.“ Das kann es aber nicht gewesen sein, denn das Original ist viel länger.
Wikipedia hilft da auch nicht sehr viel weiter, außer zu sagen, dass es sich überhaupt nicht um einen echten lateinischen Text handelt, schon weil es das erste Wort „Lorem“ auf Latein gar nicht gibt. Die Lorem-ipsum-Passagen sollen seit dem 16. Jahrhundert bei Setzern als so genannter Blindtext üblich gewesen sein. In den 1960er Jahren habe die Firma Letraset sie zur Demonstration der Gestalt verschiedener Schrifttypen verwendet, was ich bestätigen kann, denn von daher rührt auch meine erste Begegnung mit „Lorem ipsum“.
Allerdings so ganz aus der Luft gegriffen ist der Text nicht. Dann schon eher aus dem Setzkasten. Offenbar hat irgendein unbekannter Gutenberg-Jünger so um Fünfzehnhundert-Dunnemals ein Satzbrett erwischt mit dem Text von Ciceros „de Finibus Bonorum et Malorum“ („„Vom höchsten Gut und vom größten Übel“, auch „Über die Ziele menschlichen Handelns“), ein philosophisches Werk des großen römischen Redners, Politikers und Philosophen, in dem es um epikureischen Hedonismus, die Stoa und Aristoteles Peripatos geht. Statt ihn ordentlich abzulegen muss der Typ einfach ein paar Handvoll Bleizeilen gegriffen und wahllos zusammengesetzt haben, was zu folgendem seither verwendeten „Orginaltext“ führte:
„Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipisicing elit, sed do eiusmod tempor incididunt ut labore et dolore magna aliqua. Ut enim ad minim veniam, quis nostrud exercitation ullamco laboris nisi ut aliquip ex ea commodo consequat. Duis aute irure dolor in reprehenderit in voluptate velit esse cillum dolore eu fugiat nulla pariatur. Excepteur sint occaecat cupidatat non proident, sunt in culpa qui officia deserunt mollit anim id est laborum.“
Hier die beiden Absätze 1.10.32 – 1.10.33 aus Ciceros 45 vor Beginn unserer Zeitrechnung geschriebenes Original, jeweils mit markierten Textpassagen, die in „Lorem ipsum“ zu erkennen sind:
Sodann habe ich die Originaltexte durch den Google-Translator gejagt, mit folgendem Ergebnis (wieder mit farbig markierten Passagen aus Lorem ipsum):
Setzt man nun dir Versatzstücke aus „Lorem ipsum“ zusammen, entsteht die oben abgebildete „lateinische Übersetzung“ des Blindtextes.Und von dort ist es nur noch ein kurzer Sprung zurück zum Google-Übersetzer, der uns endlich die langerwartete authentische deutsche Fassung von „Lorem ipsum“ liefert, nämlich:
Nicht, dass wir jetzt viel schlauer wären. Der unbekannte mittelalterliche Schriftsetzer hat wohl ganze Arbeit geleistet beim Durcheinanderschütten der Textpassagen. Es wird wohl nachfolgenden Generationen überlassen bleiben müssen, den vollen Sinngehalt der Botschaft zu enträtseln. Aber wenigstens wissen wir jetzt, woran wir sind!
Zugegeben: Das war viel Mühe für wenig Ergebnis, aber hey, ich habe schon mehr für weniger gearbeitet. Und vielleicht hilft es Michael ja weiter bei der Suche nach einem Ausweg aus dem Verschlüsselungs-Dilemma von Czyslansky.
Und ich dachte immer, Lore Ipsum war die Schwippschwägerin Czyslanskys. Lieber Tim: Du bist dir ganz sicher, dass dem nicht so ist?