Über hirnloses Benutzen von Navigationssystemen ist nahezu täglich in der Presse zu lesen. Das blinde Vertrauen und das Abschalten des Verstandes erklärt die vielen verirrten Lkw auf Feldwegen, in verwinkelten Altstadtgassen und engen Passstraßen. Das Navi führte sie direkt in die Manövrierungsunfähigkeit.
Pkw-Fahrer, die ihr Auto in den Main setzen, weil das Navi eine Flussüberquerung mit einer Fähre als Brücke anzeigte und die Fahrerin irgendwie nicht erkennen wollte, dass gerade kein Boot zur Stelle war, sind da auch nicht besser.Warum fällt mir in diesem Zusammenhang Immanuel Kant ein? Ich darf zitieren:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen.“
Man ersetze „eines anderen“ durch „Navigationssystems“. Dann passt alles.
Während ich mich im einigermaßen großen Vertrauen, dass der Fahrer den Weg kennt, in ein Taxi setze, zücken andere, kaum, dass sie im Font Platz genommen haben, ihr Maschinchen. Natürlich bin ich schon mit der Kuh ums Dorf gefahren worden, natürlich wurde ich schon um ein paar Euro betrogen. Aber sich deshalb in allen Taxis die Fahrer kontrollieren? Was, wenn das Navi einen anderen Weg vorschlägt als den des Fahrers? Soll ich diskutieren? Rumschreien? Aussteigen?
Wann werden Busfahrer von Fahrgästen mit Navi überwacht, ob sie der Linienführung folgen. Wäre das nicht auch bei Straßen- und U-Bahnen sinnvoll? Nicht, dass der Fahrgast plötzlich merkt, dass er auf dem falschen Gleis ist…
Die Krone setzen dem Ganzen die Fußgänger auf, die in einer fremden Stadt mit einem GPS-System herumlatschen.
Können sie keine Stadtpläne und keine Straßenschilder lesen? Sehen sie überhaupt noch irgendetwas von der Stadt? Entdecken sie, was es links und rechts etwas abseits der Touristenpfade zu entdecken gibt? Mitnichten. Kein Wunder, wenn sie das Colosseum in Rom finden, aber die kleinen Gassen hinauf zum Capitol kennen sie nicht. In London, Prag, Barcelona, Marseille – es ist überall dasselbe.: Entweder wetzen die Touristen ihren Reiseführern hinterher oder sie starren hochkonzentriert auf ihre kleinen Displays.
Wo bleibt der Entdeckergeist? Wo die Bereitschaft, sich auf etwas Neues einzulassen, die terra incognita zu betreten? Wo der Orientierungssinn und wo die Spannung bei der Frage, ob man nun besser in die rechte oder die linke Gasse abbiegt. Am Ende kommt man doch irgendwo wieder raus. Und man läuft auch nicht unbedingt Gefahr, in einer Seitengasse postwendend niedergeschlagen und ausgeraubt zu werden. Woher also diese plötzliche Angst, die Unsicherheit und Hilflosigkeit in einer fremden Stadt?
Und um so schöner das Gefühl, irgendwann wieder vor einem bekannten Gebäude zu stehen, den Weg (wenn auch einen anderen) gefunden zu haben und zu sagen: „Ach hier sind wir…“.
Natürlich ist beim Autofahren ein Navi hin und wieder sinnvoll, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Ich nutze es auch gelegentlich, aber sicher nicht, um mir den Weg vom Büro nach Hause anzeigen zu lassen; nicht mal, wenn ich eine alternative Strecke ausprobiere. Nie im Leben hätte ich mich sonst in so nette wie bedeutungslose Örtchen im Münchner Umland wie wie Solalinden, Möschenfeld, Frotzhofen oder Purfing entdecktt.
Nicht, dass mich das im Leben entscheidend weiterbringt, aber das ist ein anderes Thema.
Columbus – hätte er sich vollends auf ein Navi verlassen – hätte niemals Amerika entdeckt. Bleibt die Frage, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, er hätte sein TomTom angeschlossen, wäre direkt nach Indien gesegelt und Amerika wäre unentdeckt geblieben. Der Verlauf der Geschichte wäre ganz sicher ein anderer. Allerdings wäre dann Bollywood richtungsweisend für die weltweite Filmindustrie geworden. Und darauf kann ich persönlich dann doch verzichten…
Das Navigieren ist der Tod des Flanierens.
Seit einigen Jahren schon verlaufe ich mich regelmässig in den schönsten Metropolen Europas, das ist eines meiner schönsten Hobbys. Das heisst, verlaufen kann ich mich ja eigentlich nicht, weil ich ja gar kein richtiges Ziel habe. Reise ich nach Paris, ist Paris mein Ziel, nicht der Eifelturm oder der Louvre. Den Sehenswürdigkeiten begegnet man doch ohnehin „en passant“ wenn man gut zu Fuß ist und wenn nicht, auch egal und wenn doch nicht, ein guter Grund noch einmal dorthin zu fahren.
Columbus hätte Amerika schon entdeckt. Er hätte nur nichtgewußt, wo er ist – weil sein Navi es ihm nicht hätte sagen können.Aber das ist ja eigentlich auch egal – der Weg ist ja das Ziel!