Ein Leak, da sind sich von Langenscheidt bis Beolingus alle professionellen Übersetzungshilfen einig, ist ein Leck, eine undichte Stelle. Etwas, das außen ist, sollte dort bleiben, aber es dringt durch ein Leck hinein. Bootsfahrer kennen das Problem. Sie bekommen plötzlich nasse Füße und müssen die Lenzkellen zücken.
Andersherum dringen durch ein Leck auch Dinge nach außen, die dort nicht hingehören: Öl von Tankern leckt in’s Meer, Sauerstoff von Ramschiffen ins Weltall, Peinlichkeiten aus der Kabine des FC Bayern in die Münchner Abendzeitung. Beispiele gibt es viele.
Nun also leckt’s in Rom.Verfolgt man derzeit die Gazetten Italiens, dann fällt auf, dass dort schon lange nicht mehr über Berlusconis Triebe, dafür umso mehr über Vatileaks geschrieben wird. Vatileaks ist ganz offensichtlich eine Anspielung auf Julian Assanges Wikileaks.
Zerlegt man diesen wunderbaren Neologismus in seine Bestandteile, dann wäre die korrekte Übersetzung Der Vatikan leckt. Flachwitzler könnten an dieser Stelle sofort eine Bemerkung einschieben, dass dies angesichts sexueller Umtriebigkeit in priesterlichen Kreisen ja nichts Neues sei. Aber nein: Auf dieses Niveau begeben wir uns nicht.
Noch viel weniger wollen wir uns Gedanken machen, was – löst man die Abkürzung Vati für Vatikan nicht auf -, ein eingedeutschtes Vati leckt bedeuten könnte, was Mutti dazu sagt, oder was ein Vati läuft aus bedeutet angesichts der fortschreitenden Volkskrankheit Inkontinenz. Doch lassen wir das.
Die Sache ist ernst.
Es geht um den erbitterten Machtkampf reformorientierter und konservativer Kreise hinter den hohen Mauern des Vatikans. Angeblich ist der Streit um die apostolische Sukzession bereits im vollen Gange.
Gezielt werden Dokumente der italienischen Presse zugespielt. Und das sorgt für Furore. Selbst der päpstlichen Pressesprecher Federico Lombardi meldete sich über Radio Vatikan zu Wort. „Wir müssen gute Nerven haben“, wird er zitiert, „angesichts von Dokumenten, die durchsickern, die Durcheinander und Befremden verursachen“.
Lombardi spricht von gezielten Indiskretionen und verweist darauf, dass nachdem die Amerikaner ihr Wikileaks gehabt hätten, sie nun ihr Vatileaks überstehen müssten.
„L’Osservatore Romano“ spricht von „Wölfen“, meint aber wohl eher Maulwürfe. Biologie war noch nie das Spezialgebiet der Geistlichkeit.
Doch ist der Vergleich mit Wikileks nicht zutreffend. Während Assange, der Oswald Kolle des digitalen Zeitalters, Aufklärung der Massen als Programm betrachtet, dienen die vatikanischen Geheimpapiere gezieltem Rufmord.
Assange treibt’s wie Kolle: Zeigt Dinge, die man wissen will, immer schon ahnte, aber eigentlich nicht so genau. Er veröffentlicht Dinge, die man eigentlich nicht sehen will, aber die Neugier treibt doch zum näheren Hinschauen.
Das vatikanische Leck aber soll keine Transparenz schaffen, es soll Schaden anrichten. Dokumente werden, was immer in ihnen steht, gezielt gestreut, um die Anhänger im gegnerischen Lager größtmöglich zu treffen. Statt sie für jedermann einsichtig im Internet vorzulegen (wie z.B. viele der Afghanistan-Dokumente via Wikileaks oder die pointierten Botschaftsdepeschen über führende europäische Politiker), laufen sie über Mittelsmänner in die Hände italienischer Zeitungen und werden dort instrumentalisiert. Neben den pikanten Finzanz-Details über das Istituto per le Opere di Religione (Institut für die religiösen Werke) geht es um viele weitere Bankgeschäfte des Vatikans.
Das ist nicht neu. Mit Indiskretionen dieser Art wird seit Jahrtausenden Politik gemacht, werden Mächtige gestürzt, Massen manipuliert und Interessen durchgesetzt. Den Medien scheint es egal, welche Sau dabei durchs Dorf getrieben wird.
Einmal mehr werden unter dem Vorwand des öffentlichen Nutzens, nämlich der Informationen für die Allgemeinheit, persönliche Interessen verfolgt.
Der Heilige Stuhl aber wackelt nicht. Sein derzeitiger Besetzer Papst Benedikt XVI., von dem im Süden unseres Landes auch gern als Ratzinger Sepp geredet wird, und den die Bildzeitung legendär mit „Wir sind Papst!“ umjubelte, ficht das alles nicht an.
Was gegen die Nestbeschmutzer helfe? „Beten“, antwortet er in der Generalaudienz. „Beten auch für die, die uns schaden!“ Welch ein Krisenmanagement!
Pikanter und neu in den Vatileaks aber ist, dass der Papst – traut man den Unterlagen – sowieso nur noch bis zum November zu leben hat. Zumindest zitiert so die linke italienische Zeitung „Il Fatto Quotidiano“ die Bemerkung eines Kardinals. Das hat Verschwörungstheoretiker sofort von einem geplanten Mordkomplott sprechen lassen.
Sollte dem so sein, muss die Kurie sich beeilen, einen neuen Papst ins Amt zu heben. Dessen Pontifikat wird dann wohl das Kürzeste der Weltgeschichte werden und sogar das 33tägige von Johannes Paul I. unterbieten.
Bekanntlich geht ja bereits im Dezember die Welt unter, das wussten schon die alten Maya – gut, dass die Mayaleaks uns alle an diesem Wissen teilhaben lassen.
Und selbst wenn das nicht so sein sollte: Mordkomplott hin oder her, irgendwann in absehbarer Zeit wird der mittlerweile 84jährige Ratzinger Sepp für immer die Augen schließen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Vielleicht tweetet er bis dahin noch ein wenig Insiderwissen…
2 Antworten
Grandioser Beitrag!
Wenn das Beten – das Mittel des werten Popen – denn nun auch gegen die Wahlversprechenpreller (Politiker) helfen würde…
Lieber Gott, bitte sorg dafür, das Frau Von der Leine endlich was vom Internet versteht
Ich fände ein paar Twitter-Bilder aus der Umkleide von Vatikan klasse, Der Papst hat so coole rote Slipper …