Stellen Sie sich vor, Sie sind fremd in einer Stadt, dort aber für drei Tage auf Geschäftsreise. Am Anreiseabend haben Sie noch etwas Zeit und Hunger. Sie fragen Ihren Concierge im Hotel, wo denn in der Nähe ein gutes Restaurant sei.
Der Concierge empfiehlt Ihnen drei, vier Restaurants in unmittelbarer Nähe. Nachdem Sie ihm gesagt haben, dass Sie besonders gern mediterrane oder auch kreolische Küche mögen, hat er in kurzer Zeit ein paar hilfreiche Tipps parat. Ja, er weiß sogar von ein paar besonders schmackhaften Gerichten auf der Speisekarte. Als sie ihn fragen, wo man danach noch in netter Atmosphäre einen Absacker zu sich nehmen kann, empfiehlt er Ihnen auch noch ein paar Bars in der Nachbarschaft.
Sie bedanken sich artig, steigen in ein Taxi und fahren einem entspannten Abend mit Aussicht auf eine wohlschmeckende Mahlzeit und ein paar Drinks entgegen. Klingt gut, klingt praktikabel, klingt realitätsnah. Und das ist es auch.
Spinnen wir diese Geschichte aber mal weiter: Demnächstverlangen die Gastronomen der umliegenden Restaurants von dem Concierge ein Honorar, dass der Concierge genau diese, nämlich ihre Restaurants und Bars empfiehlt, in die Sie als ortsfremder Gast Ihr Geld tragen werden. Schließlich bedient sich der Concierge ja nicht nur des geschützten Namens der Restaurants, sondern er verrät ja zudem auch Inhalte der Speisekarte. Er gibt Informationen preis, die nicht auf seinem (urheberrechtlich gesehenen) Mist gewachsen sind.
Klingt absurd, oder? Normalerweise bekommt doch der Concierge eher etwas zugesteckt, wenn er eine Bar empfiehlt. Der Reisebusveranstalter bekommt schließlich auch Provision, wenn er bei der Stadtrundfahrt alle Touristen in einen bestimmten Souvenirladen und später in eine Pizzeria bzw. einen Flamencoladen führt.
Um so sonderbarer, dass der, der eine Empfehlung ausspricht, jetzt den bezahlen muss, den er empfiehlt.
Diese kleine Parabel aber zeigt genau das auf, was das heute im Bundestag verabschiedete Leistungsschutzrecht ausmacht. Sie finden, der Vergleich hinkt? Google greife schließlich Content der Verlage ab und verdiene damit Geld?
Da fragt man sich doch, ob es nicht eher andersherum läuft?
Es gibt Unternehmen, die ein kleines Vermögen in Suchmaschinenoptimierungen investieren, damit sie eben bei Google und Co schnell gefunden werden.
Angeblich generieren Verlage wie Spiegel, Zeit, Focus und Co. über 50% ihrer Online-Auftritte über Google. Was, wenn dieser über die Suchmaschinen generierte Traffic wegfällt? Schaut’s dann nicht plötzlich ziemlich blöd aus für die Vermarkter der Plattformen? Wird da der Kampf gegen die so genannten News-Aggretatoren eher ein Kampf gegen die eigenen Seitenvermarkter?
Bis zu 50% weniger Traffic rechtfertigt ja dann auch nicht mehr die Kosten für die Werbeplätze in einem festen Zeitraum. Und wenn es wesentlich länger dauert, bis eine vereinbarte Anzahl an Impressions ausgeliefert worden sind, dann schränkt das die Vermarkter ebenfalls ein. Finanziell dürfte das von den Verlagen vorangetriebene Gesetz sich also eher als ein Eigentor darstellen.
Was geschieht denn, wenn Google diese Seiten einfach nicht mehr auswirft? Wenn geschätzte 50% der Besucher diese Seiten einfach nicht mehr ansteuern… Werden sich dann nicht die Suchmaschinensucher auf anderen Seiten die gewünschten Informationen holen? Wer würde schon auf einen Link ohne Textauszug klicken? Wer wird gezielt zum Beispiel Verlagsseiten über Bookmarks ansteuern, wenn man schnell mal eine Meldung lesen will? Das dürfte wohl eher seltener geschehen. Googeln ist gelernt und heißt auch in unserer Sprache nicht umsonst so.
Von der Praktikabilität des Gesetzes mit seinen schwammigen Formulierungen muss man gar nicht erst reden. Juristen werden trefflich vor deutschen Gerichten darüber streiten können, wann ein Snippet ein Snippet ist oder wann es sich nur um kleinste Textausschnitte und einzelne Wörter handelt.
Manchmal kann man sich über die Gesetzgebung in diesem, unserem Land von dieser, unserer Regierung nur noch wundern…
PS: Bitte fragen Sie mich nicht, welchen Film Sie diese Woche im Fernsehen anschauen sollen. Sonst muss ich, wenn ich Ihnen einen Tipp gebe, einen Titel nenne und zwei Sätze zum Inhalt ergänze, am Ende noch ein kleines Honorar an den Sender bezahlen.
Was passiert wenn man bei gleichbleibender Nachfrage das Angebot verkleinert? Der Preis steigt, ist doch klar. Und das ist die Strategie: Weniger Pageimpressions = weniger Inventar = höhere Werbepreise. Logisch, oder?
@Joachim Herbert. Das klingt zunächst logisch, lässt aber einige Faktoren außer acht.
Ich mach das mal an einem Beispiel deutlich:
Ich möchte für ein bestimmtes frauenaffines Produkt Werbung einkaufen. Das mache ich, indem ich z.b. 1 Mio PIs bei Brigitte.de einkaufe. Bisher kein Problem. Wenn aber der Verlag und google sich nicht bei dem neuen LSR einigen und google Brigitte.de nicht mehr anzeigt, gehen vermutlich auf der Seite die Visits deutlich nach unten.
D.h.: Es dauert wesentlich länger, bis ich meine PIs zusammen habe. Es findet eine deutliche Verkleinerung des Angebots auf Brigitte.de statt. Soweit d’accord.
Was kann jetzt Brigitte.de tun?
Entweder die Preise erhöhen oder die Werbeflächen. Wenn die Preise erhöht werden, was kann ich dann als Werbetreibender tun?
Ich kann z.B. auf brigitte.de und die hohen TKPs akzeptieren, oder ich kann ausweichen auf Plattformen, die dieses Problem nicht haben: Wunderweib, GoFeminim, Erdbeerlounge… Seiten, die wohl nicht mit Google über LSR streiten werden. Oder ich kaufe z.b. bei Pro7.de in den frauenaffinen Umfeldern ein.
Da es im Netz immer mehr Angebote gibt, immer mehr attraktive Werbeflächen und hochprofessionelle Vermarkter, glaube ich nicht, dass die Strategie aufgeht. Statt – um zum Beispiel zurückzukommen – bei Brigitte.de für teures Geld meine PIs zu kaufen, kann ich sie genauso zielgruppenaffin auch anderswo bekommen. Und das wissen auch die Verlage bzw. deren Vermarkter. muss ich denn zwingend auf dieser einen Plattform präsent sein? Wohl nicht.
Wie gesagt: Eine Hypothese. Warten wir ab, was passiert…
@Lutz Prauser. Würde Ihnen ja recht geben. Aber die von Ihnen angeführten Seiten aus diesem Internet bieten keinen Qualitätsjournalismus. Sonst würden sie ja von den Verlagen betrieben und wären Teil einer starken (Print-) Marke.
Deshalb macht dort eigentlich auch niemand Werbung. Wenn doch, muss ein Irrtum vorliegen, der sicher bald korrigiert wird. Wenn nötig per Gesetz…
Lieber Herr Herbert,
da muss ich schon wieder widersprechen. Und zwar mit folgenden Punkten:
-> in dem von mir entworfenen Beispiel geht es um eine weibliche Zielgruppe allgemein, nicht um eine Zielgruppe, die an Qualitätsjournalismus interessiert ist. Da kann es durchaus sinnvoll sein, solche Seiten zu belegen und Reichweite aufzubauen.
-> Nicht wenige Netzbenutzer wollen gar keinen Qualitätsjournalismus sondern Unterhaltung bzw. eine schnelle „Information“ aus demNetz. Es ist ihnen völlig egal, ob sie von der anstehenden Trennung eines Prominenten auf bunte.de, promiflash.de oder bild.de. Die Kochrezepte auf dieser Plattform haben sicher wesentlich höheren Zugriff als die im Zeit-Blog.
-> Es ist ebenfalls ein Irrtum, dass sich Werbetreibende dort irrtümlich hin verirren. Im Gegenteil: Für eine Vielzahl an Produkten ist es geradezu sinnvoll, auf Unterhaltungs-, Ratgeber- und ähnlichen Plattformen präsent zu sein als auf sogenannten „Qualitätsjournalismus“-Plattformen. Es geht nämlich gerade bei Markenartikeln um Reicheweite in der Breite. Da ist der Boulevard schon immer besser geeignet gehen.
Wie gesagt: Es geht hier nur um das Buchungsverhalten der Werbetreibenden, ihre Werbung dort zu platzieren, wo sie (oder ihre Agenturen) ihre Zielgruppen vermuten…
Ich bin, was das LSR angeht, bekanntlich auch eher auf der Seite der Gegner (besser: Spötter). Aber der Concièrge in Deinem Beispiel hinkt. Das (offizielle) Argument der Verlegerlobby ist, dass man nach einem Blick in Google News dem Link nicht mehr folgen muss, sondern schon Bescheid weiss und nur in einzelnen Fällen dem Link zum Zweck der Recherche folgt.
Dein Concièrge empfiehlt also nicht die Lokale in der Umgebung, er hält vielmehr Kostproben der angebotenen Drinks und Speisen unter seinen Tresen bereit. Nach drei Gabeln Spaghetti Poverini und einem herzhaften Mundvoll vom Ossobuco kostest Du noch schnell ein Achterl Montepulciano, um dann zu entscheiden, dass „der Italiener“ heute eine gute Wahl war. Gehst aber nicht hin, Dein Bedarf ist ja befriedigt. LOL.
Die Analogie bestünde also eher drin, zu sagen: Wenn ein Achterl Dir reicht, wie groß darf denn so ein Versucherl sein? Ein Sechzehnterl? Ab wann weiß man nicht mehr, ob einen der Wein überhaupt interessiert?