Wie Medien und Behörden die Hysterie der Corona-Leugner schüren

Man möchte es nicht glauben, wie viele vernünftige Menschen plötzlich Aluhütchen basteln, Bill-Gates-Phobien entwickeln und sich für die Meinungsfreiheit von Neonazis auf Anti-Mundschutz-Demos engagieren.  20.000 Menschen – und beileibe nicht nur Narren – versammeln sich mit einer Million anderen Narren in Berlin zum munteren Virentausch. „Angela – hier kommt Dein Volk!„.  Mir graust’s.

Natürlich hätten wir es ahnen können. Das ist ja alles gar nicht neu. Wir kennen doch die Studien zum Aberglauben aus den dreißiger und vierziger Jahren der Frankfurter Schule. Alles schon mal da gewesen. Schon damals war der Aberglaube als Vorläufer und Seelenverwandter der autoritären und faschistischen Gesinnung entlarvt worden.

Aber haben wir daraus gelernt? Und sind wir darauf vorbereitet mit unseren demokratischen Institutionen? Mit unserer demokratischen Presse? Ach was.

Unsere Medien befeuern diese gefährliche Bewegung einmal mehr. Gestern und heute war das erneut zu beobachten. Wenn es der Auflage dient, dann ist es um das Verantwortungsbewusstsein unserer Medien nicht weit her. Und auf das Gefühlsleben unserer Beamtenapparate war noch nie Verlass.

Und alles begann mal wieder da, wo unsere Gesellschaft am verwundbarsten ist: bei den Kindern:

Im Focus: Corona nimmt uns unsere Kinder weg

Einige Apparatschiks in ein paar Gesundheitsamtsstuben der deutschen Provinz haben Briefe verschickt, die sie vorher entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Darin haben sie – vermutlich eher unwissentlich – mit Covid-19 infizierten Kindern Einzelhaft angedroht:

„Ihr Kind muss im Haushalt Kontakte zu anderen Haushaltsmitgliedern vermeiden, indem Sie für zeitliche und räumliche Trennung sorgen. Keine gemeinsamen Mahlzeiten. Ihr Kind sollte sich möglichst allein in einem Raum getrennt von anderen Haushaltsmitgliedern aufhalten.“ [Ist ein Kontakt zu Familienmitgliedern unumgänglich,] „ist ein Mund-Nase-Schutz zu tragen“. … „Sollten Sie die Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nachkommen, ist eine abgeschlossene Absonderung aufgrund des Bevölkerungsschutzes in einer geschlossen Einrichtung erforderlich.“ (zitiert nach Neue Westfälische vom 7.8.2020, Seite 3).

Da war die Aufregung aber groß. Ich kann’s verstehen. Aber anstatt dass die Presse nun versucht diese Aufregung sofort einzudämmen – man weiß doch, was nun geschieht – fahren die Medien nun gleich das ganz große Investigations-Geschütz auf. Der Focus mit wehenden Fahnen vorne weg: 

„Gesundheitsämter wollen Kita-Kinder und Eltern trennen.“

So titel das Magazin der „Fakten, Fakten, Fakten“. Kein Wort wahr. Ein paar Stunden später müssen die Behören erklären, dass alles ein Missverständnis ist. Natürlich gibt es keine Einzelhaft für Kleinkinder und niemand trennt Eltern von Kindern und die zitierten Briefe sind ganz großer Bullshit von untergeordneten Beamten. Aber der Mist ist nun einmal ausgefahren und stinkt zum Himmel. Der Focus rudert halbherzig und halb beleidigt zurück: „Das Amt sieht sich ‚bewusst missverstanden“‚ Doch der Fall schlägt Wellen.“ Natürlich kann man nun dem deutschen Amtsschimmel mal eins vor den dummen Latz knallen. Verdient hätte er es. Und Rechthaberei macht Spaß.  Aber mit welchen Konsequenzen?

Die Anti-Masken-Fraktion hat sich längst auf die Meldung gestürzt und schlachtet sie aus. Soll ich mal ein bisschen aus der Facebook-Debatte des Focus zitieren?

Wenn schon die Behörden nicht in der Lage sind, die Diskussion sorgsam zu führen, so wäre es doch die Aufgabe der Medien die Diskussion zu beruhigen, nicht sie weiter auflagengeil zu befeuern.

Wie wäre es, wenn man erstmal bei den Verantwortlichen nachfragt, wie denn ein dümmlicher Brief gemeint ist, bevor man zuschlägt? Wie wäre es, wenn man erstmal überlegt, was so eine Berichterstattung in der aktuell aufgeheizten Atmosphäre auslöst, ehe man losschreibt. Ach so, das wäre verantwortungsvolles Handeln in schwerer Zeit und kein kritischer, investigativer, aufklärerischer, reißerischer, verhängnissvoller, dem Kommerz verschriebener, Hau-Drauf-Journalismus? 

Ich meine, dass ein Journalist immer auch die Wirkung seines Schreibens mitzudenken hat. Er lebt nicht außerhalb von Raum und Zeit.


Titelbild lenaivanova2311 @ adobestock com

 

 

 

 

 

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.