Ende vergangener Woche ging eine Riesenwelle um die Welt. Die türkische Regierung von Ministerpräsident Erdogan zensiert das Internet. Ungeheuerliches entnehmen wir dem Focus online. Aber schon bei der Lektüre beschleicht uns ein leichtes Deja-vus:
Das türkische Parlament hat ein umstrittenes Gesetz gebilligt, das die Kontrolle des Internets drastisch verschärft. Das von der Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dominierte Parlament in Ankara votierte am Mittwochabend für den Gesetzentwurf der Regierung, der es der Telekommunikationsbehörde (TIB) ermöglicht, Internetseiten ohne Gerichtsbeschluss zu sperren. Das Gesetz wird im In- und Ausland scharf kritisiert.
Die Entscheidung im Parlament fiel nach einer mehrstündigen hitzigen Debatte. Die Opposition warf der Regierung „Zensur“ vor. (…) Neben der Sperrung von Internetseiten ohne Gerichtsbeschluss sieht das Gesetz auch vor, dass die Behörden das Recht erhalten, von Providern die Herausgabe von Nutzerdaten zu verlangen und das Surfverhalten von Internetnutzern aufzuzeichnen und zwei Jahre lang zu speichern.
Und dazu gab es viele Kommentare. Einen sehr verständnisvollen von Michael Fuchs (CDU):
Internetseiten, die Straftaten zeigen oder verherrlichen oder deren Inhalte zu Straftaten aufrufen oder beitragen, müssen gesperrt werden können, um Verbrechen aufzuklären oder im besten Falle verhindern zu können.
Auch Winfried Anslinger (GRÜNE) hat dafür Verständnis. Zensur ist es nicht, höchstens eine zu vermeidende Tendenz, und es soll nur bei echten Straftaten eingesetzt werden, nicht bei Bagatellen. Als intimer Kenner der türkischen Gesetze weiss er, was dort alles Bagatellen sind, nehme ich an.
Man muss aber sorgfältig abwägen, um Zensurtendenzen zu vermeiden. Nur strafbare Inhalte sollen gesperrt werden können. Bagatellen im Bereich von Ordnungswidrigkeiten nicht. Auch Beleidigungen nicht. Dagegen kann man sich anders zur Wehr setzen.
Auch Werner Böhler von der SPD schließt sich an. Er ist zwar gegen Zensur, wie er sagt, aber nur theoretisch:
Die Freiheit des Einzelnen endet dort wo die Freiheit des Anderen eingeschränkt wird.
Noch ein bisschen Wischiwaschi von Franziska Eichstädt-Bohlig (GRÜNE). Zumindest will sie keine neue Zensurbehörde. Die Polizei gibt es ja schon.
Aber nur mit klaren Kriterien, damit nicht eine neue Zensurbehörde daraus wird.
Ernsthaft dagegen ist Paul Meichelböck (DIE LINKE). Er verbittet sich solche Eingriffe, aber er kommt ja auch von einer irrationalen Splitterpartei.
Wo ist der Anfang – wo das Ende – zum Schluss bekommen wir ein Internet alá China oder anderer Staaten. Freiheit heisst auch immer sich zu entscheiden – aber diese Entscheidung möchte ich treffen und nicht mein »Grosser Bruder«.
Lothar Hänsch von einer anderen (derzeit) Splitterpartei sieht das genauso:
Die freie Nutzung des Internets ist ein wichtiger Teil der grundgesetzlich verankerten Meinungsfreiheit.
Nun, ich denke, allen ist klar, die Rede ist nicht von der Türkei, wir reden von Deutschland vor ein paar Jahren, als Ursula von der Leyen sich den Spitznamen Zensursula verdient hat durch den vergeblichen Versuch, hier eine Zensurplattform zu schaffen im sogenannten Zugangserschwerungsgesetz. Die Kommentare sind also schon ein bisschen älter und alle damals zusammengetragen und noch heute nachzulesen auf www.wen-waehlen.de. Lang her, schon wieder vergessen? Von wegen, sagt nun der eine oder andere, damals ging es aber um was ganz anderes. Um so schreckliche Dinge wie Kinderpornographie. Ach ja? Eine der besten Zusammenfassungen außerhalb meines eigenen Blogs findet sich auf Netzpolitik.org („Die dreizehn Lügen der Zensursula“). Aber trotzdem, den Türken geht es doch in erster Linie um Zensur. Wirklich? Es liest sich beängstigend genauso wie damals:
Sperrungen schon jetzt möglich
Die Regierung argumentiert, das neue Gesetz trage zum besseren Schutz von Persönlichkeitsrechten im Internet bei. Ein AKP-Abgeordneter begründete das Vorhaben mit dem Schutz von Familien, Kindern und Jugendlichen vor Inhalten, „die Drogenkonsum, sexuellen Missbrauch und Selbstmord befördern“.
Das sogenannte Zugangserschwernisgesetz konnte verhindert werden. Es entscheidet immer noch nicht bei uns das BKA, ob Seiten gesperrt werden, auch wenn es eben dies vehement gefordert hatte, natürlich ohne richterlichen Beschluß. Hier wie dort wurde eine Scheindiskussion angeboten, bei uns ging es ja angeblich auch „nur“ um einen fiktiven Kinderpornographiemarkt, der von den Sperrmassnahmen weit weniger beeindruckt gewesen wäre als von Ermittlungen und Verhaftungen.
Wer damals gegen das Gesetz war, darf sich über die Türkei echauffieren.
Alle anderen halten bitte die Klappe.
Eine Antwort
Man denkt sowas nicht gerne, aber vielleicht hat Sascha Lobo ja doch irgendwie Recht mit seinem „Das Internet ist kaputt“-Gefasel.
Das Internet war schon immer irgend wie kaputt, weil der Staat natürlich schon immer die Möglichkeit hahte, unter Berufung auf „Moral, „Ordnung“ oder „Kinderschutz“ Inhalte zu verbieten. Der Unterschied ist: Man KANN im Internet nichts verbieten. Denn die Inhalte, die gesperrt werden, haben sich länst verselbständigt, wenn genügen Leute das wollen.
Das ist wie Goethes Zauberbesen, seids gewesen: Du wirst sie nicht mehr los.
Es gibt in Amerika ein schönes Spiel, das auf Jahrmärkten gern gespielt wird und das „WhacaMole“ heisst. Die Aufgabe des Spielers besteht darin, „moles“ (Maulwürfe“) mit einem Hammer auf den Kopf zu hauen. Die Maulwürfe tauchen nach dem Zufallsprinzip aus einer Vielzahl von Löchern auf, und es kommt dabei auf Reaktionsgeschwindigkeit des Spielers an, sie zu treffen.
Staatliche Zensurstellen – auch türkische – sind nicht gerade für ihre Reaktionsgeschwindigkeit bekannt. Und so werden sie nie so schnell sein wie die Informationen, die sich per Internet verbreiten. Das liegt in Wesen des Internet – das dehalb auch nie, im Lobo’schen Sinne, „kaputt“ sein kann. Das Katz- und Maus-Spiel zwischen Zensoren und denen, die sie gerne mundtot machen wollen, wird nur ein bisschen spannender.