Das Jahr 2010 ist noch nicht vorbei – aber das hat das Fernsehen nicht daran gehindert, bereits jede Menge Jahresrückblicke zu senden. Was passiert eigentlich, wenn noch was passiert? Fällt das dann in die Zuständigkeit des Rückblicks 2011? Oder ist das wie im Alten Rom, wo nach dem Januar die Consuln die Arbeit einstellten, damit zu Jahresbeginn, also damals am 1. März, das neue Team sofort loslegen konnte und sie sich nicht mit Altlasten ihrer Vorgänger herumschlagen mußten. Daher stammt übrigens auch der Name Ianuarius: Der römsiche Gott Janus hatte vorne und hinten ein Gesicht und konnte gleichzeit nach hinten sehen, ins Amtsjahr des scheidenden Consuls, und nach vorne, ins Amtsjahr des kommenden. Mögliche wichtige Ereignisse zwischen Januar und März wurden so auch von der Geschichtsschreibung ignoriert. Passiert ist vermutlich tatsächlich nicht viel, die Römer feierten ausgelassen und recht alkoholreich das kommende Jahr. Ab März war alles anders. Da der März der erste Monat war, ist auch klar, wie die Monate September bis Dezember zu ihren Namen kamen, es waren wirklich die Monate sieben bis zehn.
Das römische Jahr ging übrigens in der Republik nach dem Mond – ein Ausdruck für Rückständigkeit, den wir über 2000 Jahre später noch verwenden. Das Mondjahr hat rund 355 Tage und die römischen Monate waren jeweils gute vier Wochen, also meist 29 Tage lang. Am 23. Februar war das Jahr zuende. Danach kam der Monat „zwischen den Jahren“, mensis interkalaris und er kann seine griechisch-etruskische Herkunft nicht verleugnen, da er wie die Kalendae ein „k“ enthält. Die Schreibweise intercalaris ist erst im Kirchenlatein aufgekommen und Calendar gibt es nur auf Englisch. Bis heute hat es sich erhalten, die Zeit vor Neujahr als „zwischen den Jahren“ zu bezeichnen, was aber heute einer anschaulichen Vorstellung entbehrt.
Bis heute gerettet hat sich auch ein Gott aus dieser Zeit. Ein kleiner unscheinbarer Gott, dem der 23. Februar gewidmet war. Es war der Gott Terminus, der Gott der Grenzen, der auch für die Jahresendgrenze zuständig war, der also das reguläre Jahr terminierte, vielleicht sanfter als Arnold Schwarzenegger als Terminator. Die Götterbilder des Terminus dienten als Grenzsteine. Der Brauch war, jedes Jahr an den Terminalien alle Grenzsteine des eigenen Grundes aufzusuchen und dort Blumen abzulegen und etwas Wein auf den Stein zu schütten als Opfer. Den Rest des Weins trank man, am besten mit den Nachbarn, die ja auch irgendwann vorbeikamen am Grenzstein. Ein gemeinsam an der Grenze getrunkenes Glas Wein verringert die Gefahr von Grenzstreitigkeiten sicher enorm – ein schöner Brauch. Den Zeitpunkt der Terminalien hatte jeder im Kopf, jeder kannte also diesen einen Termin – und dass wir heute „ein Meeting terminieren“ im Sinne vom Festlegen eines gemeinsamen Zeitpunkts für ein Treffen ist eine sprachliche Grausamkeit der besonderen Art.
Zurück zur Zeit „zwischen den Jahren“: Nach den Terminalien arbeitete niemand mehr, im Gegenteil, jeder anständige Römer feierte ausgelassen und war vermutlich betrunken. Bis zum ersten März, ad Kalendas Martii. Ein Fest von ungewisser oder besser willkürlicher Dauer, denn letzlich war es ein Politikum. Auch wenn die Consuln nicht mehr arbeiteten, die Steuerpächter, Volkstribunen und sonstigen Politiker wollten gewöhnlich ihre Amtszeit so lang wie möglich hinauszögern und so soll es vorgekommen sein, daß der für den Kalender zuständige Mann unter Druck geriet. Es handelte sich dabei um niemand geringeren als den Pontifex Maximus, den Obersten Priester Roms.
Einer der bekanntesten Pontifexe war Gaius Iulius Caesar. Er entrümpelte das Kalendersystem, inspiriert von den Ägyptern oder vielleicht auch nur von einer einzelnen Ägypterin namens Kleopatra, wer weiß. Jedenfalls geht auf ihn das System zurück, daß die Monate alternierend 31 bzw. 30 Tage haben (Martius 31, Aprilius 30, Maius 31, Iunius 30, Quintilis 31, Sextilis 30, Septembrius 31 usw.). Der September war immer noch der siebte Monat, der Dezember der 10. und der Quintilis der fünfte. Quintilis? Ja, dieser Monat war der Geburtsmonat des Juliers Gaius Iulius Caesar und so entstand, ihm zu Ehren, der Monatsnamen Juli. Wenig bekannt ist die Tatsache, daß Caesar das System zwar richtig eingeführt hat in einem kalendarisch etwas verworrenen Jahr 45 v.Chr., für Caesar natürlich das Jahr 708 a.u.c., aber niemand hatte richtig zugehört. Die Römer feierten den Schalttag alle drei Jahre. Augustus erkannte schon, dass das schnell aus dem Ruder lief und ließ drei Schaltjahre ausfallen und reparierte das System. Deshalb und wegen der großen Verehrung, die das römische Volk seinem ersten Imperator entgegenbrachte, wurde der Sextilis ebenfalls umgenannt und hieß ab dem Jahr 745 a.u.c (8 v. Chr.) Augustus.
Daher rührt auch diese Merkwürdigkeit, daß wir zum Abzählen der Monate mit 31 Tagen unsere Handknöchel brauchen. Der Sextilis hatte ja nur 30 Tage. Das ging gar nicht, daß der Julius den Augustus um einen ganzen Tag ausstach. Daher kehrte sich die alternierende Reihe im August um, nun hatte dieser 31 Tage, der Sempter dafür nur noch 30 usw. Die Programmierer hassen diese imperialen römischen Speichellecker dafür heute noch, denn außer
int days[] = { 31, 28, 31, 30, 31, 30, 31, 31, 30, 31, 30, 31 };
if(schaltjahr()) { ++days[1]; }
gibt es kaum eine elegante programmiererische Lösung für das Abzählen von Tagen für irgendwelche langweiligen Fälligkeitsberechnungen etc. Aber andererseits wissen alle Anglophonen, daß Programmierer ohnehin mit Kalendern ihre Schwierigkeiten haben und Halloween und Weihnachten nicht auseinanderhalten können. Jeder Programmierer weiß schließlich:
25 DEC == 31 OCT
Übersetzt: Dezimal 25 ist Oktal 31, also 31 zur Basis 8 (3 x 8 + 1 = 25).
Bildquelle: Schöner gefälschter Grenzstein aus altrömischer Zeit, Photo aus dem Nachlass Czyslanskys. Überführen Sie den Fälscher? Czyslansky war es anhand dieses Photos gelungen. So konnte er letzlich verhindern, daß das Photo in die Hände von Erich von Däniken fiel …. Einsendeschluß sind die Iden des Ianuarius, 2763 a.u.c. Zu gewinnen gibt es meines Wissens nichts.
Das mag ich: ergötzliche Weisheiten zum Jahresausklang. Vielen Dank SvB.
Zu deinen trefflichen Gedanken zur „Zeit zwischen den Jahren“ erinnere ich an die einigen afrikanischen Stämmen zugeschriebene Eigenheit die Zukunft hinter sich und die Vergangenheit vor sich zu sehen. Da man Geschehenes ja kennt, kann man es auch sehen. Und Sehen tut man bekanntlich auch auf dem schwarzen Kontinent „vorne“, während hinter einem das Unbekannte, also die Zukunft liegt. Ein afrikanischer Blick zurück ist also ein Blick in die Zukunft, ein Blick nach vorne ein Blick in die Vergangenheit.
Was lernen wir daraus?
Nix! Aber darum geht es ja auch nicht. Hier nicht und vorne nicht und hinten nicht.
Und das war’s jetzt für dieses Jahr. Endgültig.